Der Twitter-Exodus geht weiter: Nachdem er im letzten Jahr insbesondere Mastodon viel Aufmerksamkeit eingebracht hat, ist Bluesky nun in aller Munde. Das ist ein soziales Netzwerk, welches ursprünglich von Twitter-Mitbegründer Jack Dorsey ins Leben gerufen wurde, mittlerweile aber eigenständig geworden ist. Auch Bluesky plant – wie das Fediverse – zumindest zukünftig einen dezentralen Ansatz zu verfolgen. Anders als Mastodon, Peertube oder writefreely zum Beispiel setzen die Bluesky-Entwickler allerdings nicht auf den Protokollstandard ActivityPub sondern formen ihr eigenes „AT-Protokoll“. Die Dezentralität ist momentan allerdings nur ein Plan und noch nicht in die Realität umgesetzt worden. Auch an anderer Stelle ist Bluesky noch nicht besonders ausgereift. So fehlen laut meinem Wissensstand bisher etwa die Unterstützung für Hashtags oder auch Direktnachrichten.

Bluesky befindet sich in einer öffentlichen Betaphase und ist wohl noch nicht für die breite Annahme in der Öffentlichkeit gedacht – vielleicht weil derartig essentielle Funktionen fehlen. Trotzdem ist der Dienst bereits jetzt in aller Munde. Wer Bluesky ausprobieren möchte, kommt derzeit nicht unbedingt „rein“, denn dafür muss man sich entweder auf eine Warteliste setzen lassen oder einen Einladungscode vorweisen. Auch ich selbst habe bisher noch keinen Zugang zu dem Netzwerk, dazu später mehr. Mich interessiert es aber allein schon deswegen, weil es momentan in aller Munde ist. Da stellt sich für mich ganz unweigerlich die Frage: Warum eigentlich?

Ein soziales Netzwerk in seiner frühen Anfangsphase, und dennoch sprechen alle darüber: Das ist wohl eine Situation, die nur Elon Musk hat bewirken können. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Bluesky unter normalen Bedingungen ebenso bekannt geworden wäre. Noch ist der Dienst übrigens auch noch nicht der Twitter-Nachfolger, zu dem ihn manche bereits erklären. Ursprünglich ist er sogar nur als ein Nebenprojekt des Netzwerks gestartet, dass heute X heißt.

Bluesky betrachte ich momentan nur von außen, und natürlich aus der Sicht des Fediverse. Auf Mastodon zum Beispiel hat eine ganz besondere Entwicklung eingesetzt: Immer mehr Menschen findet man auch auf Bluesky, oder aber sie fragen nach einem Zugangscode. Woran mag das wohl liegen? Mehrmals habe ich jetzt bereits mitbekommen, dass manchen ihre Aufnahme im Fediverse nicht gefallen hat. Zu viele Erklärung, nach denen eigentlich nicht gefragt wurde, so klingt für mich der Tenor. Zu kompliziert, gerade für ehemalige Twitter-Nutzer, nehmen manche Mastodon wahr.

Mir selbst ging das eigentlich immer anders. Ich habe mich in der Vergangenheit gern mit den sozialen und technischen Zusammenhängen hinter dem Fediverse beschäftigt. Mich fasziniert dieses einzigartige föderierte und gleichzeitig nicht-kommerzielle soziale Netzwerk auch heute noch. Ich habe auf diesem Blog auch schon ein FAQ geschrieben, um Einsteigern eine weitere Ressource bieten zu können, die den Einstieg in Mastodon und Konsorten vielleicht vereinfachen könnte. Für mich wirkte das Fediverse wohl schon deswegen nicht kompliziert, weil ich in dessen Struktur schon seit Monaten großes Potential sehe.

Dennoch ist meine Neugier für Bluesky geweckt. Zunächst schlussfolgere ich aus den vielen Anfragen nach Bluesky-Invitations auf Mastodon, dass dieser Dienst etwas falsch gemacht haben muss, wenn es um die Aufnahme von ehemaligen Twitter-Nutzern geht. Oder aber zumindest zu anders gewesen sein muss, als dass diese sich sofort hätten wohl gefühlt. Auch heute scheint da etwas im argen zu liegen, was Mastodon für manche unattraktiv macht. Vielleicht liegt das auch daran, dass Mastodon sich immer wieder erklären musste – selbst wenn das eigentlich einfach möglich war.

Wer das Fediverse kennt, kennt auch Mastodon. Wer aber Mastodon kennt, kennt noch nicht zwangsläufig das Fediverse. Immer wieder wurde in den vergangenen Monaten über Mastodon berichtet, insbesondere in sehr großen Leitmedien. Immer wieder wurde das Thema der Dezentralität angesprochen, aber nur mehr oder weniger gut aufgearbeitet. Aber das Fediverse als größeres Ganzes blieb oftmals eben doch unerwähnt. Das Potential, dass Mastodon für mich entfaltet, kommt besonders durch seine Anbindung an ebenjenes Fediverse. Vielen ist diese aber vielleicht einfach noch nicht bewusst geworden.

Woran auch immer es gelegen haben mag: Mastodon hat zumindest für mich nicht seinen Charme, aber ganz deutlich seinen Hype verloren. Diesen hat man wohl an Bluesky abgetreten, selbst auf der eigenen Plattform. Sicherlich wird über dieses Thema noch viel geschrieben werden, vor allem aus dem Fediverse heraus. Ich stelle mir hier auch noch ganz viele Fragen, vielleicht kann ich diese in Zukunft für mich selbst beantworten. Fast kommt derzeit das Gefühl auf, dass der Aufschwung, den ich einst vermutet habe, doch kleiner als angenommen gewesen sein könnte. Klar ist: Wenn neue Nutzer sich nicht auf einer Plattform wohl fühlen, sind sie auch nicht für diese gewonnen worden.

Ich weiß momentan aber auch noch nicht, was ich von Bluesky halten soll. Für mich wirkt die Plattform wie ein großes Versprechen, dass einige sicherlich als eine Chance begreifen. Wenn manchen Mastodon nicht gefällt, setzen sie wohl Hoffnungen in Bluesky. Denn gerade jetzt, das Elon Musk sogar Wahlaufrufe für die rechtsextreme AfD teilt, wird deutlich: Die Bewegung weg von Twitter ist noch lange nicht vorbei.

Twitter hatte für mich ein großes Potential, nämlich die Möglichkeit netzbasierte Diskussionen in einem großen Stil Realität werden zu lassen. Jetzt, da Elon Musk Herrscher über X ist, fällt seine Plattform für viele als Diskussionsportal einfach weg. Mir geht es da ja nicht anders. Man muss auch zugeben: Dem Fediverse ist es bisher nicht gelungen, die Funktion die Twitter früher hatte zu erfüllen. Womöglich ist das gar nicht der Anspruch, den Mastodon und Konsorten verfolgen sollten oder wollen. Denn Twitter ist nicht erst seit Elon Musk eine schwierige, anstrengende und nervenaufreibende Plattform gewesen. Aber das Potential, dass ich in Twitter gesehen habe, kannten andere wohl auch.

Ich kann die Suchbewegung zu anderen Netzwerken deswegen sehr gut nachvollziehen. Auch wenn ich nicht erst seit Musk im Fediverse unterwegs bin, seit ihm habe ich mich von Twitter verabschiedet. Mir war schon seit der Verkündigung der Übernahme klar, dass Twitter nicht mehr die selbe Plattform sein wird – und von dieser Annahme bin ich noch immer überzeugt. Aber interessant ist vor allem, dass es keinem anderen Netzwerk gelungen ist, Twitter obsolet zu machen in seiner historischen Rolle.

Das Fediverse wurde bisher nicht von ausreichend Menschen aktiv angenommen. Instagram ist zu Bild-basiert und Facebook gilt gerade unter jüngeren als ein Netzwerk für ältere. Tumblr ist in Vergessenheit geraten. Reddit ist ganz anders strukturiert als Twitter es war – und hat überdies auch eigene Probleme. Meiner Meinung nach wäre gerade Mastodon ein guter Ersatz für Twitter gewesen. Diese Rolle würde ich der Software auch heute noch zutrauen, aber mit dieser Position fühle ich mich schon fast wie in einer Minderheit.

Fakt ist: Wenn ein soziales Netzwerk populär werden möchte, braucht es immer ausreichend Teilnehmer. Um diesen Netzwerkeffekt und das Problem, dass Nutzer wegen ihrem Freundeskreis womöglich auf einer unliebsamen Plattform verweilen, kommt wohl kein Wettbewerber herum. Was auch immer die Intention Elon Musks beim Twitter-Kauf gewesen sein mag: Die Folgen davon waren und sich dramatisch.

Das Fediverse ist für mich eine der besten Antworten auf die Frage der sozialen Netzwerke: Eine dezentrale Ausrichtung und Unabhängigkeit von Kapitalgebern oder Aktionären – das sind für mich die Stärken, das Potential und die Chancen, die das Fediverse bietet. Ob es diese bisher ausspielen konnte – oder jemals in einem großen Umfang wird, steht auf einem anderen Blatt. Wie stehe ich nun aber konkret zu Bluesky?

Auch Bluesky ist mir um einiges lieber als Twitter oder Instagram. Die Software wird zumindest offen fortentwickelt und das Versprechen der Dezentralität lässt mich hoffen, dass es wirklich umgesetzt wird. Noch ist Bluesky für mich aber Schall und Rauch. Ich möchte meine Hoffnungen nicht so stark wie andere in die Plattform stecken, weil ich sie noch nicht kenne. Ich möchte sie nicht ablehnen, weil ich damit noch keine Erfahrungen habe. Und ganz nebenbei gibt es bei den Möglichkeiten, die Bluesky vermeintlich mit sich bringt auch einen ganz persönlichen Wermutstropfen: Ich trauere um das Fediverse, dass dadurch an Beachtung verliert.

Angenommen ich bekäme einen Bluesky-Einladungscode. Was würde ich wohl damit machen? Ihn aus pseudo-ideologischen Gründen nicht zu nutzen, grenzt für mich ehrlich gesagt an Sturheit. Natürlich finde ich das Fediverse sympathischer als ein Netzwerk, dass wiedereinmal mit Venture-Kapital finanziert wird. Aber ich kann doch nicht darüber urteilen, ohne mir je ein genaues Bild davon gemacht zu haben. Anders als bei Threads zum Beispiel, ist für mich auch wesentlich unklarer, in welche Richtung sich das Netzwerk entwickeln könnte.

Threads ist ein Projekt des Meta-Konzerns und den kenne ich meiner Meinung nach gut genug, um ihn unsympathisch zu finden. Wie Datenschutz, Werbung und Moderation aber auf Bluesky umgesetzt werden, das steht noch in den Sternen des blauen Nachthimmels. Ich möchte Bluesky nicht von vornherein ablehnen, weil das zumindest gefühlt ein wenig unfair wäre. Natürlich mache ich mir Gedanken, weil auch Bluesky seinen Aktionären verhaftet sein könnte. Aber wohin die Reise wirklich geht, das ist für mich noch nicht klar. Bei Meta ist diese Endstation abzusehen, bei X wird sie Tag für Tag deutlicher erkennbar.

Ich würde mir Bluesky gerne einmal ansehen. Ich würde mich auch darüber freuen, wenn mir ein Einladungscode zugespielt würde. Ob das nun geschieht oder nicht, das ist eine andere Sache. Ich werde diesen Text auch im Fediverse teilen und danach fragen. Meine Motivation ist eigentlich ganz einfach: Derzeit ist mir Bluesky noch ziemlich suspekt. Ich finde es schade, dass Mastodon hier scheinbar das Wasser abgegraben wird, ich finde es schade, dass ActivityPub eine Implementation weniger vorweisen kann. Aber dass Bluesky zumindest quelloffen ist und Dezentralität angestrebt wird, sehe ich doch als einen deutlichen Fortschritt im Vergleich zu Facebook, Instagram oder Twitter.

Mir war es übrigens auch wichtig, diesen Text zu verfassen, bevor ich mich nach einem Code erkundige. Das Fediverse liegt mir am Herzen – und das möchte ich hier auch ganz deutlich ausdrücken. Bevor so viele Nutzer von Twitter zu Mastodon gewechselt sind, gab es im dezentralen sozialen Netzwerk bereits eine ausgeprägt Nutzerkultur. Und diese wird sicherlich auch in Zukunft weiterbestehen. Selbst wenn die große öffentliche Aufmerksamkeit zu Bluesky wandert, verbleibt mit Sicherheit eine engagierte Community um das und in dem Fediverse. Ich freue mich immer wieder, ein Teil dieser Gemeinschaft sein zu dürfen und zu können. Mastodon, Friendica und den anderen Fediverse-Dienste nun also zugunsten Blueskys vollständig den Rücken zu kehren, halte ich für grundfalsch. Ich hoffe, dass diesen Diensten auch in Zukunft noch Öffentlichkeit zuteil wird – momentan scheint diese aber abgenommen zu haben. Als Twitter noch Twitter war und hieß, habe ich diesen Dienst allerdings auch benutzt. Vielleicht können Bluesky, Mastodon und das Fediverse als ganzes auch nebeneinander existieren? Vielleicht sogar miteinander.