In den letzten Monaten konnte das Fediverse einen massiven Aufschwung verzeichenen, weil Nutzerinnen und Nutzer großer sozialer Netzwerke ihre ehemaligen Plattformen verlassen haben. Bestes Beispiel ist und bleibt hier Twitter, zeitweise gab es auch auf Reddit zumindest einige, die über Lemmy als föderierte Alternative nachgedacht haben. Infolge dieser Nutzerbewegungen bekam das Fediverse auch viel Aufmerksamkeit in den etablierten Medien. Das, was zuvor vor allem unter Nerds bekannt und beliebt war, rückte damit ein Stück weiter in die Öffentlichkeit.
Welche Rolle viel beachtete Medien im Zeitgeschehen spielen, darüber lässt sich streiten. Die Aufmerksamkeit für das Fediverse wurde durch die mediale Aufmerksamkeit natürlich nicht kleiner. Aber im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit ergeben sich auch Fragen, über die man vielleicht in der eigenen Geek-Blase zuvor nicht nachgedacht hätte. Immerhin fand oftmals ein direkter Vergleich des Fediverse mit den etablierten sozialen Netzwerken statt; verstecken konnte sich das Fediverse davor einfach nicht. Mastodon ist wohl mit Abstand zum bekanntesten Dienst im Fediverse geworden, oder an dieser Position geblieben. Aber bestimmte Fragen gehen auch über die Grenzen eines einzelnen Dienstes hinaus und betreffen das gesamte föderierte Netzwerk.
Einer dieser Diskussionspunkte ist der um die Konkurrenzfähigkeit des Fediverse: Im Gegensatz zu den etablierten Social-Media-Webseiten und -Plattformen wird das Fediverse nicht von großen Unternehmen getragen. Hinter dem Fediverse steckt kein großer Berg an Investorengeld, dass diese früher oder später wieder oder vermehrt auf ihrem Konto wissen wollen. Das Fediverse ist de-facto nicht monetarisiert: Kein Nutzertracking, keine personalisierte Werbung, oftmals nicht einmal Nutzungsentgelte für die einzelnen Instanzen. So ist der Status-quo im Fediverse.
Gegenüber den kommerziellen Social-Media-Diensten ist das wirklich eine Besonderheit. Jetzt, da manche das Fediverse mit diesen Diensten konkurrieren sehen, stellt sich doch die Frage, welches Modell langfristig erfolgreicher sein kann. Und genau das ist wieder einmal der richtige Zeitpunkt, um einen Disclaimer dazulassen: Ich bin kein Statistik-Experte, kein Social-Media-Forscher und kein Netzwerkanalyst. Allerdings hält mich das nicht davon ab, mir meine eigenen Meinungen zu solchen Themen zu bilden – weil das Fediverse meiner Ansicht nach viel Potential bietet.
Natürlich bleiben offene Fragen, wie sich das Fediverse in Zukunft bewähren sollte. Das möchte ich gar nicht abstreiten. Aber bevor wir uns darüber Gedanken machen, lohnt sich wohl doch ein Blick in die Vergangenheit des dezentralen sozialen Netzwerks. Und vor allem auf die Gründe, die Plattformen wie Mastodon, Friendica und Konsorten zu ihrem bisherigen Erfolg verholfen haben. Für mich stellt sich deswegen eher die Frage: Baut der Erfolg des Fediverse‘ nicht eigentlich darauf, dass es nicht den negativen Folgen kommerzieller Interessen ausgesetzt ist? Mastodon zum Beispiel wirbt ganz prominent damit, dass es nicht von heute auf morgen aufgekauft werden kann – wie das bei Twitter der Fall war.
Social-Media-Unternehmen wollen aufgrund der Investitionsstrukturen hinter ihnen profitabel wirtschaften. Und Umsatz und Profit generieren sie eben hauptsächlich über ihr Angebot als Werbeplattform. Frei nach dem Motto: Hier könnte ihre Werbung stehen – und sogar gesehen werden. Damit sich das aber lohnt, sich kommerzielle soziale Netzwerke auch daran interessiert, ihre Nutzer möglichst lange auf ihren Seiten zu halten. Doom-Scrolling, Glücksgefühle durch Likes und Follower, ständige Vergleiche mit anderen und vielleicht auch ein gewisser sozialer Darstellungsdruck – kann sich das nicht negativ auf die eigene Psyche auswirken? Ist es das wirklich wert?
Historisch betrachtet hatten auch die großen sozialen Netzwerke oft Probleme damit, überhaupt profitabel zu sein. Das Fediverse hat deswegen einen massiven Vorteil: Wo ein Dienst nicht profitabel sein muss, und sich zum Beispiel durch Spendengelder trotzdem weiterfinanzieren und in sich tragen kann – wo muss er dann mit den großen Playern wetteifern? Ich bin froh, dass sich das Fediverse nicht irgendwelchen Investoren verantworten muss. Ja, das ist einer der Hauptgründe, weswegen ich so große Hoffnungen in das Fediverse als Plattform setze.
Facebook hat Millarden Nutzer, Twitter hatte einst hunderte Millionen, vielleicht ist das immer noch so. Im Vergleich dazu wirkt das Fediverse klein und beschaulich. Aber selbst die Zahl von 1,9 Millionen monatlich aktiven Nutzern, von denen die Mastodon-Entwickler gerade für ihren Dienst ausgehen, reicht aus: Langweilig wird es im Fediverse nicht, zumindest zeigen das meine Erfahrungen. Als ich neu im Fediverse war, musste ich auch erst einmal Leute finden, denen ich folgen konnte. Und Personen aus dem realen Leben im Fediverse wiederzutreffen, ist immer noch eine absolute Ausnahme. Wenn, dann ist es sogar meistens so, dass mein Umfeld erst durch mich auf das Fediverse aufmerksam wird.
Trotzdem finde ich, dass wir hier nicht verzagen sollten: Ich folge auf Mastodon derzeit in etwa 500 Profilen – und meine persönliche Timeline ist bunt, recht stark frequentiert und interessant. Das Fediverse muss nicht krampfhaft mit anderen Diensten konkurrieren, weil es schon in sich ein unglaubliches Potential bietet. Nicht zuletzt auch die Chance, Social Media endlich selbst in die Hand nehmen zu können. Darauf können wir im Fediverse meiner Meinung nach stolz sein – und vor großen, kommerziellen Diensten brauchen wir uns auch nicht zu verstecken.
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